| Von den Mädchen 
    I 
Andere müssen auf langen Wegenzu den dunklen Dichtern gehn;
 fragen immer irgendwen,
 ob er nicht einen hat singen sehn
 oder Hände auf Saiten legen.
 Nur die Mädchen fragen nicht,
 welche Brücke zu Bildern führe;
 lächeln nur, lichter als Perlenschnüre,
 die man an Schalen von Silber hält.
 Aus ihrem Leben geht jede Türe
 in einen Dichter
 und in die Welt.
 
    II 
Mädchen, Dichter sind, die von euch lernendas zu sagen, was ihr einsam seid;
 und sie lernen leben an euch Fernen,
 wie die Abende an großen Sternen
 sich gewöhnen an die Ewigkeit.
 
Keine darf sich je dem Dichter schenken,wenn sein Auge auch um Frauen bat;
 denn er kann euch nur als Mädchen denken:
 das Gefühl in euren Handgelenken
 würde brechen von Brokat.
 
lasst ihn einsam sein in seinem Garten,wo er euch wie Ewige empfing
 auf den Wegen, die er täglich ging,
 bei den Bänken, welche schattig warten,
 und im Zimmer, wo die Laute hing.
 
Geht! ... es dunkelt. Seine Sinne sucheneure Stimme und Gestalt nicht mehr.
 Und die Wege liebt er lang und leer
 und kein Weißes unter dunklen Buchen, -
 und die stumme Stube liebt er sehr.
 ... Eure Stimmen hört er ferne gehn
 (unter Menschen, die er müde meidet)
 und: sein zärtliches Gedenken leidet
 im Gefühle, dass euch viele sehn.
 Rainer Maria Rilke 
(1875-1926) 
Aus: Das Buch der Bilder / Des ersten Buches erster Teil (1902)
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