Sieh, Gott...
Sieh, Gott, es kommt ein Neuer an dir bauen,
der gestern noch ein Knabe war; von Frauen
sind seine Hände noch zusammgefügt
zu einem Falten, welches halb schon lügt.
Denn seine Rechte will schon von der Linken,
um sich zu wehren oder um zu winken
und um am Arm allein zu sein.
Noch gestern war die Stirne wie ein Stein
im Bach, geründet von den Tagen,
die nichts bedeuten als ein Wellenschlagen
und nichts verlangen, als ein Bild zu tragen
von Himmeln, die der Zufall drüber hängt;
heut drängt
auf ihr sich eine Weltgeschichte
vor einem unerbittlichen Gerichte,
und sie versinkt in seinem Urteilsspruch.
Raum wird auf einem neuen Angesichte.
Es war kein Licht vor diesem Lichte,
und, wie noch nie, beginnt dein Buch.
Rainer Maria Rilke
(1875-1926)
Aus: Das Stundenbuch / Buch vom Mönchischen Leben (1899)
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